Frühling, Sommer, Herbst und Winter - die Einteilung in vier Jahreszeiten hat sich für mich so lange schlüssig angefühlt, bis ich mich näher mit den wilden Pflanzen, Pilzen und Tieren auseinandergesetzt habe. Bald stellte ich fest, dass jedes Wesen seinem eigenen Rhythmus folgt: manche sind das ganze Jahr über präsent, andere tauchen im Frühling auf und im Herbst wieder unter. Und dann gibt es noch die, die einen ganz eng eingegrenzten Raum einnehmen, für Tage oder Stunden.
Je feiner ich meine Wahrnehmung justierte, desto mehr wurde mir klar, dass der Beginn des Frühlings einen ganz anderen Charakter hat als seine Mitte oder sein Ende und dass die Übergänge zwar fließend sind, aber doch ein gewisser gemeinsamer Rhythmus erkennbar wird. Passender als das grobe Konzept der vier Jahreszeiten bildet “Phänologie” ab. Sie teilt das Jahr in 10 Jahreszeiten: Frühling, Sommer und Herbst werden gedrittelt, der Winter bleibt, als Zeit der Wachstumsruhe, ein Ganzes. Im Gegensatz zu den kalendarischen und meteorologischen Jahreszeiten, orientieren sich die phänologischen nicht an festen Daten, sondern an Phänomenen, am Auftreten bestimmter Verhaltensweisen von Pflanzen: Blühen, Beeren reifen, Blätter fallen lassen, …
Phänologie und das Klima
Seit bald 10 Jahren beobachte ich die phänologischen Zeichen. So wie das Wetter in den letzten Jahren immer extremer wird, so werden auch die Jahreszeichen chaotischer. Am Übergang von Winter zu Frühling zeigt sich die Veränderung durch das gestörte Klima am deutlichsten: der Winter ist in den letzten Jahren immer kürzer geworden, von etwa 100 Tagen auf gerade einmal 75 geschrumpft. In der “PhänoUhr” des Deutschen Wetterdienstes zeigt sich das durch den direkten Vergleich mit dem “vieljährigen Mittel” - allerdings beinhaltet dieses Mittel mittlerweile so viele vom Klimawandel veränderte Jahre, dass es nicht mehr als Vergleich mit dem “davor” interpretiert werden kann. Wir erleben gerade eine fundamentale Veränderung.
Was sich verändert hat
Mitunter fühlt es sich surreal an, durch die Welt, den Alltag zu gehen und diese ganzen scheinbaren Kleinigkeiten wahrzunehmen, während sie den Menschen um mich herum überwiegend verborgen bleiben. Immer öfter kommt es vor, dass mir Mitten im Gespräch mit jemandem ein “Hörst du das? Die Störche sind zurück!” oder “Oh, das erste Veilchen dieses Jahr!” rausrutscht. Ich verwildere! Seit mir bewusst geworden ist, wie fragil diese scheinbar unumstößlichen jahreszeitlichen Rhythmen sind, schenke ich ihnen nur noch mehr Beachtung.
Nichts und niemand ist losgelöst von den natürlichen Rhythmen
Was machen sie, was macht ihre Veränderung mit uns? Was macht das mit … allem?
Die folgende Einordnung lädt ein, die jahreszeitlichen Rhythmen genauer wahrzunehmen und der ein oder anderen Antwort - vielleicht - ein Stück näher zu kommen.
[Dieser Post wird nach und nach ergänzt und dann Jahr für Jahr erweitert / aktualisiert.]
Frühling
#01 Vorfrühling
Der Vorfrühling beginnt, wenn sich zum Ende des Winters die ersten Zeichen von (neuem) Leben zeigen. Das Zerren zwischen zwei Jahreszeiten ist in diesem Zeitraum besonders deutlich spürbar: womöglich liegt noch Frost oder Schnee über allem, aber die ersten frischen hellgrünen Kräuter brechen bereits durch den noch kalten Boden. Und wenn man genau hinsieht und hinhört, sind da allererste Andeutungen von Gewusel und Gebrummse. Die Tage werden spürbar länger. Ein Gefühl von Erwartung und Aufbruch liegt in der Luft.
Gemeine Hasel (Corylus avellana)
Wann ist Vorfrühling?
Das phänologische Zeichen für den Vorfrühling ist das Blühen der Hasel.
Aktuell etwa: Februar / März
🌿 Flora
Am Übergang von Winter zu Frühling beginnen die Pflanzen zögerlich mit neuem Wachstum. Schneeglöckchen sind die vielleicht auffälligsten und bekanntesten Erscheinungen des Vorfrühlings. Unauffälliger, aber zuverlässig unter den allerersten, die im Vorfrühling neu austreiben, ist das Scharbockskraut. Typische Frühlingskräuter wie Giersch, Brennnessel, Löwenzahn und Wilde Möhre kommen gegen Ende des Vorfrühlings zögerlich mit dazu.
🍄 Funga
Im taufeuchten Boden graben sich erste neue Fruchtkörper von filigranen Pilzen an die Oberfläche. Einer der bekanntesten unter ihnen ist der Fichtenzapfenrübling, der schon ab dem frühesten Frühling auf (manchmal im Boden vergrabenen) Fichtenzapfen wächst. Je nach Witterung können auch noch Winterpilze zu finden sein, die nur bei kalten Temperaturen Fruchtkörper ausbilden.
🦊 Fauna
Tiere beginnen sich wieder mehr zu regen. Paare, die sich im Winter (wieder)gefunden haben - wie etwa Waldkauz oder Fuchs - paaren sich und bereiten sich auf das Elternsein vor. Andere machen sich auf, um Partner:innen für dieses Jahr zu finden. Hummeln gehören zu den ersten Insekten, die, wenn die Temperaturen stimmen, auf warmen sonnigen Tagen aus ihren Verstecken hervorkommen. Marienkäfer wachen auf und krabbeln verschlafen aus ihren Winterverstecken.
#02 Erstfrühling
Das “Widererwachen” der Natur nimmt Fahrt auf. Während im Vorfrühling noch vorsichtig erste Lebenszeichen sichtbar wurden, zeigt sich jetzt ein regelrechter Aufbruch: Die Tage werden spürbar länger, die Temperaturen steigen und das Leben breitet sich aus. Das Wetter neigt sich Richtung Frühling. Und vor allem: es beginnt danach zu riechen.
Forsythie (Forsythia)
Wann ist Erstfrühling?
Das phänologische Zeichen für den Erstfrühling ist die Blüte der Forsythie. Sie ist in den Innenstädten und Gärten zu finden und sieht mitunter vom letzten, oft zu späten, Rückschnitt ziemlich übel aus. Wenn sie darf, blüht sie aber üppig.
Aktuell etwa: März / April
🌿 Flora
Es ist die Zeit der jungen Kräuter. Viele (nicht alle!) der krautigen Wildpflanzen treiben jetzt neu aus. An einigen Sträuchern und Bäumen finden wir bereits erste Blüten und sich öffnende Blätter. Im Wald nutzen Frühblüher die Gelegenheit noch kahler Bäume, bevor diese einen großen Teil des Sonnenlichtes schlucken - dazu gehören etwa Schlüsselblume, Buschwindröschen und Lerchensporn.
🍄 Funga
Frühlingspilze wie die begehrten Morcheln und einige Becherlinge sind (nur) jetzt zu finden.
🦊 Fauna
In der Tierwelt fallen vor allem die Vögel auf, die um diese Zeit - oft oben in den höchstgelegenen Ästen - singen. Erste Zugvögel kehren zurück. Angehende Eltern bereiten Nester und Höhlen vor und sind vor allem in der Dämmerung geschäftig am Sammeln und Jagen.
#03 Vollfrühling
Der Vollfrühling ist eine zutiefst lebendige Zeit. Es ist warm genug, um länger draußen zu sein, aber noch nicht so heiß, dass man sich vor der Mittagssonne zurückziehen müsste. Jetzt ist das Grün satt, Blüten entfalten sich in großer Vielfalt und die Tage sind bereits spürbar länger und wärmer. Es ist eine lebendige Phase, in der sich das Leben in Pflanzen, Pilzen und Tieren in voller Kraft zeigt.
Apfel (Malus)
Wann ist Vollfrühling?
Das phänologische Zeichen für den Vollfrühling ist die Blüte des Apfelbaums.
Aktuell etwa: April / Mai
🌿 Flora
Es blüht! Vor allem blühende Bäume und Sträucher prägen die Landschaft: Apfel, Kirsche, Birne. Die Wiesen sind gesprenkelt mit ersten blühenden Kräutern, vor allem Löwenzahn, Gänseblümchen und Wiesenschaumkraut. Bäume und Sträucher entfalten ihr volles Blattwerk.
🍄 Funga
Der klassische Pilz des Vollfrühlings ist der Maipilz. Bei entsprechender Witterung drängt er auf Wiesen aus dem Boden, oft kreisförmig in “Hexenringen”.
🦊 Fauna
Die Tierwelt ist jetzt ausgesprochen aktiv. Vögel brüten und versorgen ihre Jungen, während viele Säugetiere ihre Jungen gebären oder säugen. Insekten sind nun zahlreich unterwegs.
(Fortsetzung folgt im Laufe von 2025)
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Was ist die aktuelle phänologische Jahreszeit?
Hier kommst Du zur Phäno-Uhr des Deutschen Wetterdienstes, wo Du (je Bundesland) erfährst, welche phänologische Jahreszeit gerade aktuell ist.
Phänologie & Haiku
Haiku sind kurze, aus Japan stammende Gedichte und der Inbegriff der kreativen Auseinandersetzung mit den jahreszeitlichen Phänomenen. Hier erfährst Du, was es mit Haiku auf sich hat, warum sie mehr mit den Jahreszeiten als mit dem Silbenzählen zu tun haben - und wie Du selbst Haiku schreiben kannst. Ich persönlich liebe diese Praxis und habe mir ein eigenes Haiku-Heft angelegt, in dem ich verdichtete Momente der 10 Jahreszeiten sammle. Auch darüber erfährst Du mehr im verlinkten Post.